Abend, Nacht und Morgen in der Welt der Lieder,
so könnte man unser Programm umschreiben. Der Tagesablauf mit seinen verschiedenartigen Facetten hat die Menschen schon immer zu poetisch-musikalischen Schöpfungen angeregt. Empfindungen des Abends, der Nacht und des Morgens bieten ein unerschöpfliches Reservoir, das Künstler in allen Kulturen inspiriert hat.
In der deutschen Romantik spielt diese Metaphorik eine besondere Rolle. Nacht, Traum und Dämmerung sind Synonyme für das Unerreichbare, das Unbegreifliche. Insbesondere die Musik ist geeignet, dieser Sehnsucht nach dem Unendlichen Ausdruck zu verleihen.
Stimmungen am Abend sind schillernd, haben viele Facetten. Bedingt durch die bevorstehende Dunkelheit ist der Grundton oft eher beängstigend. Schon in der Bibel heißt es: „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“. Josef Rheinberger hat den Text 6-stimmig gesetzt. Die Vertonung scheint keinen Zweifel an der Erfüllung des Gebetes zu hegen. Für den Romantiker Eichendorff dagegen ist der Abend die Zeit, in der „der Herr nun bald (wird) an die Sternlein zünden“. Aber der Wanderer, von dem die Rede ist, – Sinnbild der Heimatlosigkeit des Menschen -, sehnt sich in Anbetracht der hereinbrechenden Dunkelheit „schauernd …recht nach Hause“. („Abschied, Abendlich schon rauscht der Wald“, vertont von Fanny Hensel).
Anders bei Kinderliedern (Wiegenliedern), die die bevorstehende Nacht mit Träumen und süßem Schlaf verbinden. „While the moon her watch is keeping“ ist gälisch-schottischen Ursprungs und beschreibt die Gefühle, wenn ein Kind in den Schlaf gewiegt wird. Ein jiddisches Wiegenlied wählt ein schönes Bild, nimmt Bezug auf Vögel, die in den Bäumen träumen („‚S dremlen fejgl ojf di zwajgn“) und kontrastiert diese Idylle mit der Erfahrung in Progromen.
Auch in Jazz und Swing hat das Thema „Abend“ viel Anklang gefunden. „Goodnight, sweetheart, well it’s time to go“ ist ein Klassiker der Jazz- und Swingszene der 30er Jahre und noch heute ein beliebter Evergreen.
Die Nacht ist die Zeit des Schlafes und der Träume, aber auch eine Metapher des Todes. John Wilbye („Draw on, sweet night“) stellt die Nacht als einen Freund dar, der hilft, Sorgen und Schmerzen zu vergessen, was aber auch nur eine gewisse Erleichterung bringen kann.
Es gibt nachts blühende Pflanzen, die nachtaktive Insekten anlocken und die verblühen, sobald das Licht des Tages erscheint. Ein Gedicht über diese Blumen von John Clare (19. Jhd., „The Evening Primrose“) hat Benjamin Britten eindrucksvoll in Töne gesetzt. John Clare stellt den Zauber, aber auch die Vergänglichkeit und das Geheimnisvolle dieser nur kurz blühenden Pflanzen dar.
Der Morgen dagegen ist die Zeit des Aufbruchs, des Beginns neuer Taten, „der Sonn‘ entgegen“ („Morgenwanderung“ von Emanuel Geibel, vertont von Fanny Hensel). Ein Morgenlied aus dem Gälischen, der alten Sprache Schottlands, hat Cat Stevens zu seinem „Morning has broken“ inspiriert. Wie ein Stück aus dem 16. Jahrhundert zeigt („Wohlauf, mit lauter Stimm tut uns der Wächter singen“, Johann Walter), war das Thema aber schon früher aktuell.
Mascha Kaléko hat viel sog. „Großstadtlyrik“ geschrieben, auch ein Gedicht zum Thema „Morgen“. Der „Radio Guten Morgen“-Quassler heißt in ihrem Text Pitt. So heißen diese Quassler heute nicht mehr, aber ihre Kritik dürfte immer noch aktuell sein.