2014 21.6. „Rück – Blicke“
30 Jahre Chor Kontrapunkte 1984 – 2014 Zu unserem Programm
Rück- Blicke heißt unser Programm, das einen Überblick über drei Jahrzehnte unserer Chorarbeit geben soll. Nicht nur Highlights sind enthalten; wir wollen einen Querschnitt unseres „Singens“ in all den Jahren bieten.
Das Konzept war schon immer, uns ein möglichst breites Spektrum der weltlichen Chormusik zu erarbeiten. Dabei achten wir nicht unbedingt auf den Unterschied zwischen der europäischen A-cappella-Tradition und internationaler Folklore, auf den Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Musik oder auf den Unterschied zwischen Tradition und Moderne. Uns interessiert immer wieder, wie die unterschiedlichen Stücke in bestimmten Kombinationen sich gegenseitig kommentieren, ergänzen, sich widersprechen. Dabei rückt uns unversehens Außereuropäisches ganz nahe oder Geistliches wird politisch.
Nicht immer muss dabei gesungen werden, auch Lautartikulationen und Sprechstücke (Schwitters, Jandl) haben wir uns erarbeitet; solche Stücke sind bis heute im Chor stark umstritten – aus unterschiedlichsten Gründen.
Für Martin Luther galt Josquin Desprez als „Fürst der Musik“:
„Josquin ist der noten meister, die habens müssen machen, wie er wolt; die anderen Sangmeister müssens machen, wie es die noten haben wöllen“,
äußerte er. Josquins „Mille Regretz“ steht in der Tradition der französischen ‚Chanson‘, die durch den Siegeszug des italienischen Madrigals nahezu völlig verdrängt wurde.
Das Madrigal ist als weltliche Gesangsform im 16. Jahrhundert an den Adelshöfen Italiens und am Hof der Medici-Päpste entstanden. Erstmals kamen damals im Text wie im Gesang das Ich mit seinen Gefühlen und Empfindungen sowie Erlebnisse in der Natur zum Ausdruck (Renaissance). Aufgabe der Musik war die Nachahmung der inneren und der äußeren Natur des Menschen. Aus den Madrigalbüchern von Claudio Monteverdi haben wir zahlreiche Stücke im Repertoire. Wir bringen eine typische, von uns gerne gesungene Komposition dieses Genres, „Ecco mormorar l’onde“, eine wunderbare Naturbeschreibung, mit der eindrucksvollen Schlusszeile, „Ch‘ ogn‘ arso cor ristaura“, ’so dass jedes kranke Herz gesundet‘.
Vokalmusik in England im 16. Jahrhundert nimmt sich die italienische Musik zum Vorbild, entwickelt aber sehr bald eine eigene Handschrift, meist in enger Zusammenarbeit mit den Dichtern der elisabethanischen Zeit. Die Lautenlieder eines John Dowland wurden meist erst nachträglich für Chor eingerichtet. Wir singen ein sehr bekanntes Stück, „Come again“ von John Dowland, aber auch andere, weniger bekannte von ihm und seinen Zeitgenossen.
Heinrich Schütz` Motette „Verleih uns Frieden“ aus seiner „Geistlichen Chormusik“ von 1648, dem Jahr des Westfälischen Friedens, setzt einen Kontrapunkt im wahrsten Sinne des Wortes zu anderen Stücken in unserem Programm, die Widerstand und Gewalt thematisieren.
Die Romantik ist bei uns mit unterschiedlichen Stücken vertreten: Die Komposition von Johannes Brahms richtet sich an den großen, bürgerlichen Chor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Fanny Hensel (geb. Mendelssohn) eher an das gebildete Publikum ihres berühmten Salons und Leoš Janáček reiht sich mit seiner „Kačena divoká“ in diese Tradition ein, besteht aber darauf, wie schon Antonín Dvořák in seinen Kompositionen, die charakteristische Melodiegestaltung slawischer Lieder zu bewahren.
In Afrika gibt es einen breiten Fundus an Chormusik, im südlichen Afrika oft als politischer Protest artikuliert, und so begann auch unsere Begegnung mit südafrikanischer Chormusik im Umfeld der Anti-Apartheid-Bewegung vor 1989. Südafrikanische Chormusik ist aber auch Ausdruck der Lebensfreude und des geselligen Zusammenseins. Wir singen die bekannte Hymne „Nkosi Sikalel‘ i Afrika“ und das Freiheitslied „Sizakuba Dubula“, beide der politischen Richtung zuzuordnen, sowie „Jikela emaweni hamba“, ein Tanzlied aus der Xhosa/Zulu-Tradition.
Orientalische oder gar fernöstliche Musik sperrt sich oft gegen die Wiedergabetraditionen europäischer Chormusik. Immer wieder haben wir uns aber auch mit dieser Musik beschäftigt. Wir haben in unser Programm ein Stück aus der türkischen Folklore aufgenommen: „Süt içtim- Ich habe Milch getrunken“.
In Südamerika sind die Grenzen zwischen „ernster“ und „unterhaltsamer“ Chormusik noch fließender als anderswo. Ein schönes Beispiel dafür ist „Te quiero – Ich liebe dich“: eine temperamentvolle Vertonung eines Liebesgedichtes, vermischt mit politischer Anklage.
Mascha Kaléko ist eine Dichterin, die von 1936 bis 1938, also bis zu ihrer Emigration, in der Bleibtreustraße in Charlottenburg wohnte. Wir haben mehrere Vertonungen ihrer Lyrik uns erarbeitet, die immer wieder durch den nüchtern-sachlichen und gleichzeitig melancholischen Ton verblüfft und singen das „Chanson für Morgen“ (erschienen 1945 in ihren „Versen für Zeitgenossen“) in einem Satz von Uli Führe.
Mit einem irischen Segenswunsch endet unser Konzert. Wir grüßen damit nicht nur unser Publikum, sondern möchten auch an jene Chormitglieder erinnern und ihrer gedenken, die durch einen frühen Tod von uns gegangen sind. Möge der Segenswunsch auch ihnen gelten.