2015.04.07 “Wer die Nachtigall stört…“
(Un-) Romantisches – neu aufgelegt Zu Unserem Programm
Ein zentrales Element der Romantik ist die „Sehnsucht nach dem Unendlichen“. Mit dieser „Ursehnsucht“, wie man sie auch nennen könnte, verbunden ist eine Tendenz zu allem, was den Kräften irdisch-menschlicher Erkenntnis offenbar überlegen ist: das Übersinnliche, Dunkle, Geheimnisvolle. Begriffe wie Dämmerung, Nacht, Mond, Wald, Zauber, Geister, Wunder, Traum und Stimmung werden wichtige Begriffe der Romantiker. Und ihre Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach einer Auflösung der zeitlichen und räumlichen Begrenzung ihres Seins wirkt sich auch in einer auffallenden Rückbesinnung auf vergangene Zeiten aus. So erhalten Märchen und Sagen allergrößte Bedeutung, und das Mittelalter wird gar zum „goldenen Zeitalter“ erklärt.
Häufig wird heute im allgemeinen Sprachgebrauch die Romantik mit Schwärmerei, Verklärung der Natur und mit einer Flucht in Traumwelten gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung greift zu kurz: Es geht weniger um „Traumwelten“, vielmehr um „Gegenwelten“. Zur Schaffung dieser „Gegenwelten“ gehört auch die Hinwendung zum Ursprünglichen, Volksnahen, damit verbunden das Sammeln von Volksliedern und die Hebung der literarischen Schätze der Vergangenheit.
Solche Schätze sind in unserem Programm unschwer zu entdecken, auch und insbesondere in Stücken, die nicht aus der literarischen oder musikalischen Epoche der Romantik stammen: O du schöner Rosengarten aus Lothringen und Das Herz tut mir aufspringen von Hans Leo Haßler sind Beispiele dafür.
Auch Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Hugo Distler haben in diesem Sinne gewirkt. Es geht ein dunkle Wolk herein ist ein eindrucksvoller Satz eines alten Liedes, dessen Ursprünge bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen.
Ähnliches gilt für Text und Melodie von Ach bittrer Winter aus dem Kloster Seeon am Chiemsee aus dem 17. Jahrhundert; Schürmann hat 2011 dazu einen Chorsatz geschrieben.
Noch älter, nämlich aus der Mitte des 15. Jahrhundert, ist eine Quelle, die im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde und aus der Brahms geschöpft hat, das „Lochamer Liederbuch“. Das Lied Ich fahr dahin ist eines der Stücke, die Brahms aus dieser Niederschrift entnommen hat. Brahms kannte auch das von Siegfried Kapper 1852 herausgegebene Buch „Die Gesänge der Serben“ und entnahm diesem Band mehrere Lieder. Der Chorsatz Das Mädchen, mit einer Solostimme für Sopran, besticht durch seine wechselnde Rhythmik und durch unerwartete harmonische Wendungen.
Für Martin Luther war die Musik, -damit meinte er Vokalmusik-, vor allem Gotteslob. Die Schöpfung preisen und die Menschen zum guten Leben anleiten war ihre Hauptaufgabe. In einer -gereimten- „Vorrede auf alle guten Gesangbücher“, die den Titel trägt „Frau Musica singt“, bringt er es auf den Punkt: Die beste Zeit im Jahr ist mein beginnen die Verse. Zugleich weist Luther auf den Vogelgesang als Vor- und Urbild des menschlichen Gesangs hin, und insbesondere auf die Nachtigall als „Meisterin“ dieses Gesangs.
Die Nachtigall war auch für viele andere Dichter und Komponisten, -egal, welche Sprache sie sprachen-, das romantische Symbol schlechthin: Monteverdi (O rossignuol“), der Katalane Antoni Pérez Moya (El Rossinyol), Goethe (Die Nachtigall, sie war entfernt) nehmen auf sie Bezug. In der Liederhandschrift aus dem Kloster Chiemsee wird beklagt: „Entflogen ist uns Frau Nachtigall“.
Kompositionen, die sich um die Nachtigall drehen, gliedern unser Programm in unterschiedliche musikalische bzw. thematische Blöcke. Das Zitat „Wer die Nachtigall stört…“ verweist darauf, dass sich romantische Weltsicht und Realitätsbezug mitnichten ausschließen müssen. Deshalb enthält unser Programm auch Klagelieder: Die Klage Davids über seinen verlorenen Sohn Absalom (When David heard, Thomas Tomkins) und die Klage über den Tod seinen Freundes Jonathan (Planxit autem David, Josquin Desprez) sind ergreifende Beispiele der Erschütterung, musikalisch ausgedrückt. „Weh mir!“ klagt wiederholt das lyrische Ich im fünfstimmigen Madrigal von Thomas Morley (Fyer, fyer!), und die Klage über eine Zwangsheirat ist gleich in drei Stücken zu finden.
„Schwärme mit mir“ heißt es in einer Zeile einer sog. Skolie, einem Trinklied aus dem alten Griechenland, einer Einleitung eines Symposions, die Joseph Haydn vertont hat. Das Motto könnte auch aus der Romantik stammen. Mit Alles hat seine Zeit, so der Titel des Stücks, beschließen wir unser Konzert.